Geschichten aus Tschlin

Tir da Mazlas – ein urtümlicher Sport aus den Bergen

Autor: Nicolo Bass | Fotograf: Flurin Bertschinger

Mazlas schiessen – ein Kameradschaftssport

Sobald der letzte Schnee auf den Wiesen unterhalb des Dorfes Ramosch geschmolzen ist, beginnt die Saison der Mazlas. Diese dauert nur bis Ende April, ist aber für Mario Oswald und Erwin Salis eine der schönsten Zeiten des Jahres. Mario und Erwin sind leidenschaft­liche «Mazlists», obwohl beide mit diesem Spiel erst in ihrer Funktion als Dorflehrer angefangen haben – Mario in Ramosch und Erwin in Strada.

«Mazlas wurde in viel früherer Zeit im ganzen Unterengadin gespielt», erzählt Erwin. Heute gibt es diesen Brauch nur noch in Valsot, wenn auch einzelne Spieler noch aus Scuol und Ardez stammen. Man könnte diesen Sport als eine Art Alpengolf umschreiben. Woher dieser Brauch ursprünglich stammt, lässt sich nicht genau erklären. Es ist jedoch bekannt, dass auch in anderen Regionen Graubündens und in Österreich Mazlas gespielt wird.

Von «Fuclas» und «Furlas»

Ursprünglich bestand die Mazla aus dem Stiel eines grünen Steckens des Schneeballstrauches und einem Block aus hartem Holz, z. B. aus Apfel- oder Kirschbaumholz. Auch die kleinen Bälle waren ursprünglich aus Holz. Heutzutage spielen die Mazlists gewöhnlich mit Mazlas aus Fiberglas und mit Golfbällen. Erwin stellt seine Mazlas immer noch selber her, und er macht auch welche auf Bestellung.

Das Ziel des Spiels ist, so wenige Schläge wie möglich zu brauchen. In Ramosch geht das Spiel über mehrere Kilometer und beinhaltet acht Ringe. Es handelt sich um Ringe aus Sägemehl. Es gibt Ringe mit sogenannten «Fuclas» und dorthin sollte der Spieler mit dem Ball gelangen. «Es gibt Spieler, die schiessen mit solcher Kraft, dass die Bälle über mehrere Ringe hinaus landen», berichtet Mario.

Die Spielregeln sind zum Teil komplex. So gelten fünf Schüsse, die daneben gingen, als einmal getroffen. Wenn der Ball nur berührt wird, gilt das auch schon als getroffen. Diese Regel heisst sogar «berührt ist berührt». Von einer «Furla» spricht man, wenn der Ball nur über die Wiese rollt. Es gibt aber keine Disqualifikationsregel.

Für Jung und Alt

Traditionell fand früher das Mazla-Schiessen immer am Ostermontag statt. In Ramosch gibt es heute zwei Turniere, eines nur für die Ramoscher und eines auch für Teilnehmer aus anderen Dörfern. Erwin nimmt jedes Jahr mit einer Gruppe aus Tschlin an diesem Turnier teil. Die Turniere werden von der Jugendmusik und dem gemischten Chor organisiert. Es gibt dabei Spiele für Einzelpersonen und Spiele für Gruppen. Bei den Gruppen spielen immer vier Teilnehmer zusammen. Bei den Einzelspielen bestehen die Gruppen aus drei Teilnehmern beim Start.

«Früher gingen die Grossväter und die Grossmütter mit ihren Enkelkindern auf die Wiesen, um ihnen das Mazlas-Schiessen beizubringen.»

Die Sieger erhalten einen Zinnbecher mit den eingravierten Namen. Spielen dürfen Jung und Alt, Männer und Frauen. Die Gruppen werden gemischt, das Los entscheidet, wer zusammen spielt. «Früher gingen die Grossväter und die Grossmütter mit ihren Enkelkindern auf die Wiesen, um ihnen das Mazlas-Schiessen beizubringen», sagt Mario. Heutzu­tage üben die Schüler und Schülerinnen immerhin noch mit der Lehrerschaft.

Präzision und Glück

«Ein guter Mazlist schiesst regelmässig und weit», erklärt Mario. Seiner Meinung nach verbinden sich beim Mazlas-Schiessen die Präzision und das Glück, den richtigen Moment zu erwischen. «An einem Tag gelingt es gut und am nächsten Tag überhaupt nicht – und man weiss nie, warum es so ist», sagt er.

Mario und Erwin schätzen die Kombination des Sportes im Freien mit dem sozialen Aspekt des Spiels. «Während des Spiels herrscht eine gewisse Spannung, aber hinterher feiert man immer zusammen», meint Mario.